Musik und Klima

Schönheit schützen.

Bedrohte Musikkultur(en)

Die Klima- und Umweltkrise ist ein Generalangriff auf die gesamte Musikkultur. Sie bedroht zahlreiche Musikkulturen in aller Welt – und sie bedroht die künstlerische Freiheit als Ganzes. Wir versuchen einige erste Annäherungen an ein vielschichtiges Thema.

Hochwasserkatastrophe im Kreis Ahrweiler

1) Expert*innengespräch: Bedrohte Musikkulturen

Ein Gespräch über Hitze und Hochwasser, bedrohte Musikkulturen in aller Welt und die Verletzlichkeit der europäischen Musik.

Zu diesem Video
Der jährliche Weltrisikobericht verdeutlicht, wie sich das wachsende Risiko von und die Anfälligkeit für Naturkatastrophen, Dürren und Meeresspiegelanstieg auf verschiedene Weltregionen verteilt. Daraus lässt sich ableiten: Zusammen mit den dort lebenden Menschen sind zugleich auch ihre jeweiligen Musikkulturen akut bedroht.
Doch zu der Frage, wie sich die Erderhitzung und ihre Folgen konkret auf verschiedene Musikkulturen auswirken wird, gibt es bisher so gut wie keine systematischen Untersuchungen. Wir haben Prof. Dr. Christine Dettmann (Hochschule für Musik und Theater München) und den Klimaforscher Prof. Dr. Gerrit Lohmann (Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven) zum interdisziplinären Austausch eingeladen. Das Gespräch wurde am 9.9.2020 geführt.

Eine Produktion von Trimum im Auftrag der Stiftung Genshagen für das Projekt Kultur und Nachhaltigkeit. Ein kreativer Austausch in Europa im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020. Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Stiftung Genshagen Logo BKM Logo EU2020

2) Nachwuchsförderung, Kultursubventionen und Klimakrise

Leidtragende der Klimakrise sind gegenwärtig vor allem die ärmeren Länder des globalen Südens. Doch diese ungleiche Risikoverteilung bedeutet nicht, dass nicht auch die Industrieländer massiv vom Klimawandel betroffen wären. Die Corona-Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie verletztlich unser Kulturleben ist. Und laut Risiko-Klima-Index 2019 war Deutschland 2018 das weltweit am drittstärksten betroffene Land. Als überdurchschnittlich reiches Land konnten diese Schäden zwar besser als in ärmeren Ländern kompensiert werden. Längerfristig dürften aber auch auf unser Land gewaltige Kosten für Klimaanpassung, Klimaschutz und Reparaturkosten nach Stürmen, Starkregen und Waldbränden zukommen.

Dies kann und wird nicht ohne Auswirkungen auf die Kultur bleiben – gerade in jenen Bereichen, in denen sie auf öffentlichen Subventionen angewiesen ist oder in denen es darum geht, den musikalischen Nachwuchs auszubilden.

>> Bernhard König: Die beschwiegene Zukunft
>> Norbert Sievers: Kulturpolitik muss auch Klimapolitik sein

3) Musik und Extremwetter

Anfang 2021 haben wir begonnen, hier und auf unserer Facebookseite regelmäßig an Musikkulturen zu erinnern, die durch Extremwetter und Klimaveränderungen bedroht sind. Anfangs waren diese Beispiele allesamt in anderen Regionen der Welt angesiedelt. Im Sommer 2021 rückten uns die zerstörerischen Auswirkungen der Klimakrise so nahe wie nie zuvor. Auch wenn es angesichts der vielen Toten, Vermissten und Verletzten zu einer Nebensächlichkeit wird: Das Hochwasser in NRW und Rheinland-Pfalz hat auch in der musikalischen Infrastruktur tiefe Spuren hinterlassen.

Hochwasser in Wipperfuerth, Foto: Eschbach, KStA

Die Schäden, die das Hochwasser allein im Opernhaus Wuppertal angerichtet hat, werden auf rund 10 Millionen Euro beziffert – über die Hälfte der Mittel, die die Stadt Wuppertal jährlich für ihre Kulturbetriebe zur Verfügung stellt. Im Gemeindehaus der Kirche am Widey in Hagen wurde eine gerade erst frisch sanierte Orgel zerstört; der CVJM Hagen verlor seinen gesamten Bestand an Musikinstrumenten. Auch in Altena lagerten die Musikinstrumente eines Jugendorchesters in den überfluteten Räumen des Kreisarchivs. Aus Trier und vielen anderen Städten wird von zerstörten Klavieren in Privatbesitz berichtet.

Hilfe für die Flutopfer
Zahlreiche Hilfsorganisation haben Spendenkonten für die Flutopfer eingerichtet.

4) Beispiele aus aller Welt

Küstenstädte (1)
Küstenstädte sind besonders von der Klimakrise bedroht, weil sie sowohl dem steigenden Meeresspiegel als auch der wachsenden Gefahr von Stürmen und Küstenerosion ausgesetzt sind. Bereits 2005 wurde die Jazz-Metropole New Orleans von einem verheerenden Hurrikan heimgesucht. Solche Wirbelstürme gab es auch früher schon. Aber durch die Erderwärmung nimmt ihre Häufigkeit stark zu.

Louis Armstrong spielt und singt „Do you know what it means to miss New Orleans?“

Küstenstädte (2)
Kaum eine Stadt in Europa ist so stark durch den steigenden Meeresspiegel bedroht, wie die alte Musikmetropole Venedig. Niemand weiß, wie lange es diese Stadt noch geben wird, in die einst Komponisten und Musiker aus ganz Europa pilgerten und in es zeitweise bis zu zwanzig Opernhäuser gab.

Das Barock-Ensemble „Les Arts Florissants“ singt „È questa vita un lampo“ von Claudio Monteverdi: „Dieses Leben ist ein Blitz, der beim Erscheinen verschwindet“ – komponiert um 1640 in Venedig.

Trockenheit und Hitze
Die arabische Halbinsel zählt zu den wasserärmsten Regionen der Welt. Klimaforscher*innen prognostizieren dieser Region für die nächsten Jahrzehnte unerträgliche Hitze. 50 Grad und mehr wären dann keine Seltenheit mehr. Viele Regionen und Städte wären nicht mehr bewohnbar. Die Pilgerreise nach Mekka – für viele Muslim*innen eine zentrale Glaubenspraxis – könnte schon in wenigen Jahrzehnten nicht mehr stattfinden.

Der Trimum-Chor singt „Uşşak Esma Zikri“, einen traditionell arabischen Zikr.

Musik aus der Arktis
Dreimal so schnell, wie der Rest der Welt: Das arktische Eis schmilzt viel schneller, als es die Prognosen der Klimawissenschaft vorausgesagt haben. Die Eisschmelze setzt nicht nur gefährliche Krankheitserreger frei und lässt weltweit den Meeresspiegel steigen. Sie verändert auch einschneidend die Lebensgrundlagen der dort lebenden Menschen und ihrer einzigartigen Kultur.

Kathy Keknek und Janet Aglukkaq präsentieren die Kunst des Kehlkopfgesangs:

„Dry gets drier, wet gets wetter“
So lautet eine hydrologische Faustregel, mit der die kommenden Wetterextreme beschrieben werden. Die Lebensstationen des Komponisten Nicolas Gombert stehen für diese Gegensätze. Er lebte vor 500 Jahren in Flandern und Spanien. Heute sind seine beiden Heimatregionen auf gegensätzliche Weise bedroht: Flandern vom steigenden Meeresspiegel, Spanien von Hitze und Trockenheit.

Gombert schrieb vor rund 500 Jahren ein wunderschönes Chorstück über die Vergänglichkeit: „Media vita in morte sumus“ (Mitten im Leben umgibt uns der Tod). Ob in Flandern und Spanien wohl in 500 Jahren noch Menschen leben werden?