Musik und Klima

Schaden begrenzen.

Was bisher geschah

Seit die Rockband Radiohead 2003 und 2006 erstmals die Umweltbelastung durch eine große Musiktournee untersuchen ließ (siehe Publikumsmobilität), ist viel geschehen. 2007 begann die britische NGO Julie’s Bicycle, systematisch die Umweltbelastungen durch verschiedene Kultursparten zu erforschen. Zeitgleich entwickelte auch ein Team des weltumspannenden Konzertevents Live-Earth ein umfassendes Konzept für ein “grünes” Veranstaltungsmanagement.

Andere haben diese Beispiele aufgegriffen und weiterentwickelt. In Deutschland wurde 2009 die Green Music Initiative gegründet, die sich auf eine Verbesserung der Energiebilanz großer Popfestivals konzentriert und zusammen mit der Popakademie Baden-Württemberg und weiteren Partnern den Green Touring Guide publiziert hat.
Im gleichen Jahr initiierte der Hornist Markus Bruggaier das Orchester des Wandels, das Benefizkonzerte zur Förderung von Aufforstungs- und Renaturierungsprojekten veranstaltet und sich zunehmend auch auf künstlerischer Ebene mit der Klima- und Umweltkrise auseinandersetzt.
Dass seit 2019 immer mehr Orchester, Bands, Festivalveranstalter und Musikinstitutionen diesen Vorbildern folgen und sich um Nachhaltigkeitskonzepte und Kompensationsmaßnahmen bemühen, ist wohl dem Weckruf durch Fridays for Future zu verdanken. Erfreulich viele kleine und große Initiativen und NOGs haben sich ein “grünes Musikbusiness” auf die Fahnen geschrieben. Gleichzeitig beginnt das Thema “Musik und Klima” auch in wachsendem Maße zu einem Forschungsthema zu werden.

Die große Beschleunigung

Diese Initiativen sind überaus wichtig und wertvoll. Veranstalter*innen und Musiker*innen signalisieren auf diese Weise, dass sie institutionelle Verantwortung übernehmen und sich bemühen, schädliche Einflüsse auf das Klima und die Umwelt auszugleichen. Aber genügt das?
Die Zahl der großen Festivals und Konzerthäuser, die Reichweite der Streamingdienste und damit auch die Klima- und Umweltbelastung durch Musikproduktion und Musikkonsum sind trotz aller Gegenbemühungen erheblich gestiegen. Musik ist ein Teil jenes entfesselten Wachstums, das die Nachhaltigkeitsforschung als Große Beschleunigung bezeichnet: Ein exponentieller Anstieg von technologischer Innovation, wirtschaftlicher Aktivität, Mobiliät und Kommunikation auf allen Ebenen – und damit eben zugleich auch ein exponentieller Anstieg des Landverbrauchs, der Schadstoffbelastungen und des Verlustes von Biodiversität.
Musik hat an dieser zerstörerischen Gesamtentwicklung nur einen kleinen Anteil. Doch verglichen mit früheren Epochen der Musikgeschichte ist der Energieaufwand, den wir betreiben, um Musik zu produzieren und zu konsumieren, monströs.
Auf der Ebene der Mobilität wurde dieses rasante Wachstum 2020 durch die Corona-Pandemie erstmals wieder gebremst. Doch die energieaufwändige und umweltbelastende digitale Verfügbarkeit von Musik wurde dadurch eher noch angefeuert: Mittlerweile gibt es kaum noch ein Konzert, das nicht allerorten und jederzeit per Streaming abrufbar ist.

Genügt es, den Schaden zu begrenzen?

Diese Entwicklung wirft zwei Fragen auf. Erstens: Rechtfertigen es einzelne Maßnahmen zur Schadstoffreduzierung, Effizienzsteigerung oder Kompensation, von “klimafreundlichen Konzerten” oder einem “nachhaltigen Musikbusiness” zu sprechen? Und zweitens: Sollte das Potential der Musik damit bereits ausgeschöpft sein? Oder gibt es noch ganz andere Möglichkeiten, sie als gesellschaftverändernde Kraft und Brutstätte neuer Ideen wirksam werden zu lassen?

(BK)